Erfolgreiche Geschäftsmodelle im Internet haben ein gemeinsames Strickmuster: Sie machen das Leben der Kunden bequemer – obwohl sie häufig sogar Arbeit an den Kunden delegieren. Warum uns das von idpool interessiert? Weil uns Geschäfts- und Vertriebsmodelle interessieren; nur wenn wir sie verstehen, können wir sie verständlich machen. PR- und Content-Generierung setzt eben neben narrativen Talenten Verständnis für Psychologie und Vertriebsmodelle voraus (statt PR-Gefasel).
Einfacher und bequemer ist, was der Kunde als einfacher und bequemer empfindet. Sehr schön erklären kann man das am Beispiel einer Banküberweisung (damals/heute).
Früher ging das so: Vordruck händisch ausfüllen, bei der Bank abgeben, die Schaltermenschen tippen die Überweisung ein – und haften dafür.
Heute geht das so: Wir selbst tippen eine 22-stellige IBAN in ein Online-Formular, generieren eine TAN und übernehmen postwendend die Haftung, wenn etwas schief läuft.
Die Kunst der Delegation von Arbeit und Verantwortung wird inspiriert durch ein Momentum der Bequemlichkeit. Oder wie das Marketing-Buzzword sagt: „convenience is king“. Stellt man früher/heute gegenüber, so ist es vermutlich „convenient“, eine Rechnung ein Mal in die Hand zu nehmen und nach der Online-Überweisung als bezahlt abzuheften. Oder per copy/paste die PDF-Rechnung ins Formular zu übertragen. Menschen wissen gerne, dass eine Sache erledigt ist. Und wollen nicht auch noch bei der Bank vorbeifahren. Oft werden solche Nutzenargumente verkannt.
Bequemlichkeit sticht Preis
Näher als je zuvor rücken bei diesen Internet-Prozessen Marketing und Verkauf zusammen. Ganze Geschäftsmodelle werden für ein bisschen Bequemlichkeit beiseite geräumt und durch andere ersetzt. Und das Beste: Die gefährdeten Geschäftsmodelle wissen gar nicht, wie das gehen soll? So einen Prozess wie Taxifahren digitalisieren? Hä?
Wenn Sie vor zehn Jahren einen Taxifahrer nach seiner Angst vor Konkurrenz aus dem Internet befragt hätten? Der schlagfertige Berliner Droschkenkutscher hätte ihnen gesagt: „Solange det Internet nich Taxe fährt, solange muss ick mir keene Sorjen machen…“
Uber (sprich: juber) hat als weltgrößtes Taxiunternehmen hat keine einzige Taxe, aber eine Menge Fahrgäste, die vor allem die Bequemlichkeit und die Sicherheit dieser Internetrevolte schätzen. Das Buchungssystem ist sehr kommod und die Freundlichkeit der Dienstleistung ist über ein Feedbacksystem wechselseitig abgesichert. Und – weiß man ja: Berliner Taxi-Chauffeure können auch anders…
Heizungswartung aus dem Online-Shop
So ein Convenience-Ding geht auch im Kleinen, regionalen: Marco Linnenbrügger, Inhaber der Firma Paul Heller in Bielefeld, hat mit seiner Online-Applikation „Service Online buchen“ (https://www.paul-heller.de/de/service-online-buchen/) seinen Heizungs-Kundendienst teildigitalisiert. Über seine Internetseite stellt der Handwerksunternehmer Servicepakete zum Verkauf. Und montagmorgens stehen die Aufträge dann zum Festpreis im System. Das entlastet bei Paul Heller den Vertrieb, die Telefonzentrale und die Prozesse rund um den Kundendienst. Und Zeit ist derzeit wirklich knapp im Handwerk.
Bei Paul Heller hat das viele Vorteile fürs Unternehmen: Denn Kunden liefern mit einem perfekt durchdachten Abfrage-System alle Informationen an, die der Kundendienstmonteur später für eine Heizungswartung mit korrektem Materialbedarf braucht. Und im Gegensatz zur telefonischen Terminabklärung (zwischen Tür und Angel oder aus dem Auto) machen Kunden sich sogar die Mühe, den letzten Kaminkehrer-Bericht einzuscannen.
Der Kunde selbst erhebt seine Daten
Und da steht alles Wichtige für eine gut vorbereitete Heizungswartung drauf. Bei Zwischendurch-Telefonaten hingegen hat der Sachbearbeiter Glück, wenn der Kunde sich an die Marke der Heizungsanlage erinnern kann. Für so viel Zuarbeit seitens des Kunden gibt es bei Paul Heller einen festen Termin und einen festen Preis. Und mangels Vergleichsangebot (das ist so schnell nicht zu beschaffen) ist das Servicepaket dann sonntags auch die einzige Option für Kunden und Neukunden. Folge: Am Wochenende verkaufen sich die Service-Slots blendend. Und der Kunde hat das Thema von der Backe.
Paul Heller, Uber, Amazon… wie eine Blutspur zieht sich der Convenience-Gedanke durchs Internet – per Bodycheck werden altbewährte und unkomfortablere Businessmodelle aus dem Weg geboxt.
Online-Handel: Nicht der Preis ist entscheidend, sondern die Bequemlichkeit. Amazon-Bestellungen werden nicht nur ins Haus geliefert, man kann sie in den USA bereits ohne Verpackung wieder zurückgeben, wenn etwas nicht passt. Faule Zeitgenossen werden das zu schätzen wissen.
Medien: Zeitschriften und Zeitungen erleben harte Zeiten. Ihr Informationsangebot ist in manchen Teilbereichen weit weniger praktisch als das Internet. Eine Eingabe in den Suchschlitz der allwissenden Maschine geht einfacher als das Blättern im Heft mit krauser Stirn und einem: „Wo hab’ ich das nochmal gelesen?“ Die redaktionelle Dienstleistung des Sichtens und Bewertens ist zwar in der Fülle des Angebots nötiger denn je – aber hat noch kein Geschäftsmodell gegen Google und Social Media gefunden.
Reisebüro: Airbnb begann als Mitwohnoption bei Privatleuten und als Verdienstmöglichkeit für Zeitgenossen, die ungenutzten Raum an gefragten Destinationen zur Verfügung haben. Der Nutzen dahinter ist ein ganz neues Reisegefühl: Wohnen mit und wie echte Menschen – nicht wie Hotelgäste. Abenteuerliches, authentisches (Unter-)vermieten von und für jedermann – mit nur ein paar Klicks. Früher musste man sich für ähnliche Erlebnisse an fast vergessene Studienkollegen ranwanzen, die heute in San Francisco wohnen. Was tat man nicht alles…
Autor Holger Siegel vergleicht Milch mit Auto: Der Vergleich zeigt, wie Komfort im Zeitenlauf umdefiniert werden kann. Eine Kuh war früher ein bequemer Garant für verfügbare Milch. Die Technologien Kühlschrank und Milchtüte haben sie abgeschafft. Das Auto ist nicht mehr das Mobilitätsversprechen der Zukunft, sondern es erinnert viele Menschen an die eigene Kuh im Stall. Das Auto steht 95 Prozent der Zeit nur rum – wie übrigens auch die Kuh. (Foto: mm)
Nicht günstig, sondern komfortabel
Was man daraus lernen kann: Um erfolgreich zu sein, müssen Prozesse im Internet nicht günstig sein – schon gar nicht für den Kunden. Sie müssen nur gefühlt einfacher und bequemer sein als das Business-Modell, das sie aus dem Weg räumen. Und über allem steht die Suchmaschine Google, die uns genau dorthin bringt, wo das komfortabelste Angebot gefunden wird.
Das Ganze funktioniert nach den Regeln des disruptiven Wettbewerbs, den Clayton Christensen in seinem Buch „The Innovator’s Dilemma“ beschreibt. Und wie hat er geschrieben: Gerade etablierten Geschäftsmodellen fällt es schwer, auf neue Herausforderungen zu reagieren, selbst wenn sie in ihrem eigenen Businessmodell alles richtig machen und (noch) Geld verdienen. Geradezu mustergültig kann man diese Theorien an den aktuellen Problemen der Automobilindustrie ablesen. Das Auto ist nicht mehr das Mobilitätsversprechen der Zukunft, sondern es erinnert viele Menschen an die eigene Kuh im Stall. Brauche ich eine Kuh, wenn ich ab und zu ein Glas Milch trinken will? Die Kuh steht 95 Prozent der Zeit nur rum – wie übrigens auch das Auto…
Der Convenience-Grad eines neuen Produkts, einer App oder einer Dienstleistung ist der künftig vielleicht entscheidende Faktor im Marketing-Mix (unter Service angesiedelt). Das Tückische daran ist, dass eingeführten Unternehmen der Blick auf disruptive Chancen verstellt ist.